Tageslektüre

wechselnde kurzgeschichten zum Hier-Lesen


Der Frühling naht, da wird es Zeit für den Mörike ... Finden auch "Mein Vampir und ich"

 

Der Vampir runzelte die Stirn und legte das Buch beiseite.
»Alles okay?«, fragte ich.
Er schnaufte kurz. Irgendetwas beschäftigte ihn.
Ich kannte meinen Pappenheimer. »Komm, sag schon.«
»Na gut.« Er setzte sich in Position. Das machte er gerne so. Kein Grund zur Sorge. »Ich frag mich grad, was ein Hafenton ist.«
»Wie ... Hafenton?« Da war ich aber auch ein bisschen ratlos.
»Ja also ... was sollen das für Töne sein? An so einem Hafen?«
»Tja ... vielleicht eine Heulboje?«
Wir grinsten uns an. Heulboje! Wer um alles in der Welt hatte dieses Wort erfunden?
»Oder ...« Ich überlegte kurz. »Schiffe. Ozeanriesen. So ein durchdringender, markerschütternder Signalton, den die als Warnsignal rausschicken.«
»Der ist dann aber ganz tief und laut, ja?«
»Würd ich vermuten, ja.«
Der Vampir schüttelte den Kopf.
Also grübelte ich weiter. »Marktschreier! Weißt du, was ich meine? Diese Fischverkäufer! Frischer Fisch, Fisch fangfrisch von Fischers Fritz, jetzt kaufen und zwei Euro pro Kilo sparen, egal wie’s stinkt!« Ich sah ihm hoffnungsfroh ins Gesicht.
Aber er schien nicht recht zufrieden. »Das passt nicht.«
»Passt nicht? Zu was?«
»Zum Frühling.«
»Zum – hä?« Ich war verwirrt.
»Ja! Da steht ...« Hier hielt er mir das aufgeschlagene Buch unter die Nase. »... ein leiser Hafenton!«
Mir dämmerte was. »Das ist von Mörike.«
»Er ist’s«, meinte mein Vampir mit doppelter Bedeutung, denn so lautete auch der Titel des Gedichts.
»Schatz«, begann ich und hätte ihn vor Verzücken abknutschen können, »Harfenton! Harfe! Lieblich, geheimnisvoll, harmonisch und schön!«
»Ach so!«, sagte er und erwiderte meinen Blick.